Anthony Hamilton Karriereende des Snooker-Veteranen – Neuanfang als Coach

Anthony Hamilton: Ein Leben für das Spiel

Manchmal endet eine Karriere nicht mit tosendem Applaus oder einem letzten großen Titel. Manchmal ist es ein stilles Abschiednehmen – getragen von Würde, Erinnerung und dem Wissen, dass man über Jahrzehnte hinweg einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Anthony Hamilton, der „Sheriff of Pottingham“, hat genau diesen Moment jetzt erlebt. Nach über 30 Jahren auf der Snooker-Tour ist für den 53-jährigen Engländer Schluss. Kein Comeback mehr, keine weiteren Qualifikationsversuche – dafür der Blick nach vorn: als Coach, Mentor und Wegbereiter für kommende Generationen.

Doch bevor er andere Spieler auf ihren Wegen begleitet, nimmt er sich Zeit für einen Moment des Innehaltens. Wir haben ihn gebeten, auf fünf Schlüsselmomente seiner Laufbahn zurückzublicken – und Hamilton führt uns durch seine persönliche Geschichte, chronologisch und mit einer Offenheit, die berührt.

1988 – Der erste große Sieg, getragen von Familie und Hoffnung

„Bevor ich Profi wurde, war ich jahrelang auf den Straßen Englands unterwegs – gemeinsam mit meinen Eltern“, beginnt Hamilton. Die erste große Erinnerung führt zurück ins Jahr 1988. In Croydon gewann er als Amateur ein bedeutendes Pro-Am-Turnier und kassierte 1.000 Pfund – damals eine fast unvorstellbare Summe. „Es war das erste Mal, dass wir das Gefühl hatten: Das hier ist echt. Das zahlt sich aus. Auf der Heimfahrt fühlte es sich an, als hätten wir im Lotto gewonnen.“

Der Sieg war nicht nur sportlich wichtig. Er war ein gemeinsamer Triumph. Seine Mutter, die als Sekretärin arbeitete, und sein Vater, der auf Baustellen schuftete, hatten ihn jahrelang Woche für Woche zu Turnieren gefahren – ganz ohne Navi, mit Straßenkarten und Thermoskannen. „50 Wochenenden im Jahr – das war unser Leben. Verlieren lernen, Frust ertragen, aber immer weitermachen. Ich war nicht allein – wir waren ein Team. Und dieser Sieg gehörte uns allen.“

1992 – Das erste Mal auf der großen Bühne

Vier Jahre später erlebte Hamilton das nächste „erste Mal“: Er hatte sich durch die schier endlosen Qualifikationsrunden des Norbreck Castle in Blackpool gekämpft – drei Monate lang, 90 Partien, ein Marathon. Am Ende stand er auf der Bühne des Grand Prix im Hexagon Theatre in Reading. „Ich war plötzlich Teil der Show. Kein Qualifikant mehr, sondern wirklich mittendrin.“

Er schlug Tony Jones knapp mit 5:4, bevor er gegen Alan McManus ausschied. Doch das Ergebnis war nebensächlich. Viel wichtiger war das Gefühl, zum ersten Mal auf der Fernsehbühne zu stehen. „Plötzlich bist du nicht mehr Zuschauer, sondern wirst selbst gefilmt. Das ist, als würde man jahrelang Filme schauen – und dann selbst eine Rolle spielen. Du spürst: Jetzt geht’s los. Jetzt bist du Profi.“

1999 – Im Rampenlicht: Das erste Ranglistenfinale

Das Jahr 1999 brachte Hamilton an den Rand des ganz großen Durchbruchs. Beim British Open in Plymouth spielte er sich bis ins Finale – und zeigte dabei, dass er mit den Besten mithalten konnte. Sein Weg dorthin war steinig: Marco Fu, Mark Williams, Paul Hunter und schließlich Stephen Hendry mussten nacheinander bezwungen werden. „Wenn ich den Turnierbaum vorher gesehen hätte, wäre ich vielleicht gar nicht hingefahren“, sagt er mit einem Schmunzeln.

Im Finale traf er auf Fergal O’Brien – und es wurde ein harter Kampf. Hamilton eröffnete mit zwei Century Breaks – ein seltenes Kunststück in einem ersten Finale – doch O’Brien gewann die engen Frames. „Ich habe gut gespielt, aber Fergal war an diesem Tag einfach eiskalt. Ich wusste gar nicht, was man in einem Finale macht – ich hab nicht mal meine Freundin eingeladen, und das gab natürlich Ärger!“

Trotz der Niederlage bleibt das Finale für Hamilton eine wertvolle Erinnerung. „Finale zu spielen ist eine völlig andere Erfahrung. Man ist nicht mehr Teil der Show – man ist die Show. Und wenn man dann gegen jemanden verliert, der den Tag seines Lebens hat, kann man das mit Würde annehmen.“

2004 – Der Tag, an dem der Junge seinem Idol gegenüberstand

Manche Momente im Leben lassen einen innehalten. Nicht, weil sie mit Ruhm oder Reichtum verbunden sind, sondern weil sie ein Stück Kindheit ins Jetzt holen. Für Anthony Hamilton war das Jahr 2004 genau so ein Moment – ein Spiel, das ihn zurückführte zu dem Jungen, der einst stundenlang vor dem Fernseher saß und Steve Davis bewunderte.

Die Auslosung zur ersten Runde der Snooker-Weltmeisterschaft im Crucible Theatre war kaum bekanntgegeben, da durchzuckte es Hamilton: Er sollte gegen „The Nugget“ spielen. Steve Davis. Sein Idol. „Es war, als hätte ich alle Lotterien der Welt auf einmal gewonnen“, sagt Hamilton mit leuchtenden Augen. Schon 1997 hatte er im Crucible gegen Jimmy White gespielt – auch eine Legende. Aber Steve? Das war anders. Das war persönlich.

Die Bühne war das berühmte Crucible in Sheffield, der heilige Ort des Snookers. Und auch wenn Davis nicht mehr in seiner Blüte war, war seine Präsenz überwältigend. „Er kannte dieses Theater besser als ich mein eigenes Wohnzimmer. Die Aura, die er mit an den Tisch brachte – das spürte man in jeder Faser.“ Hamilton erinnert sich, wie er mit 9:4 führte und sich innerlich bereits siegessicher fühlte. Doch Davis kam zurück, Frame um Frame, und plötzlich stand es 9:7. „Da merkte ich zum ersten Mal, wie sehr er noch immer brannte – wie viel Kampfgeist in ihm steckte. Ich sah den echten Steve Davis.“

Hamilton gewann am Ende – aber das Ergebnis war fast nebensächlich. „Ich saß da, spielte gegen mein Idol und fühlte mich wie der Außenseiter. Als hätte ich in seinem Wohnzimmer gestört.“ Das Publikum war auf Davis’ Seite, zu Recht. „Diese Leute sind Legenden. Ich hatte das Glück, ein Kapitel mit ihm teilen zu dürfen.“

Noch heute zählt dieser Tag zu den kostbarsten Momenten seiner Karriere – nicht wegen des Sieges, sondern wegen der Bedeutung. „Es war wie ein Ritterschlag. Ich war mittendrin in dem Spiel, das ich einst als Fan verehrt hatte.“

2017 – Der späte Triumph: German Masters

Es sollte fast zwei weitere Jahrzehnte dauern, bis Hamilton sich seinen Platz ganz oben auf dem Treppchen sicherte. 2017 gewann er mit 45 Jahren das German Masters in Berlin – ein emotionaler Höhepunkt, der ihm nach vielen Anläufen endlich den ersten großen Profititel brachte. Im Finale besiegte er Ali Carter mit starkem Spiel und noch stärkerem Willen. Es war ein Sieg gegen die Zweifel, gegen den eigenen Körper, gegen die Uhr.

„Das war mein Moment. So lange hatte ich gewartet, so oft war ich nah dran – und dann hat es geklappt“, sagt er. Doch der Erfolg kam nicht ohne Schattenseiten: In den folgenden Jahren kämpfte er mit Rückenproblemen und zunehmend schwächerem Sehvermögen. Trotzdem hielt er sich mit Zähigkeit auf der Tour – Jahr für Jahr, bis zum Schluss.

2024 – Ein Abschied ohne Drama, aber mit Würde

Nach dem Ende der Saison 2023/24 versuchte Hamilton noch einmal, über die Q School zurückzukehren – aber der Traum vom einen letzten Jahr erfüllte sich nicht mehr. Nun ist der Moment gekommen, sich zurückzuziehen. Kein Drama, keine große Bühne, kein Knall – sondern ein stiller Rücktritt mit Haltung.

Und doch bleibt Hamiltons Karriere in Erinnerung: Nicht wegen der Trophäensammlung – sondern wegen seiner Art. Er war ein Spieler, der sich Respekt nicht durch Glamour verdiente, sondern durch Charakter, Ehrlichkeit und Beständigkeit. Nun will er seine Erfahrung weitergeben – als Trainer, als Beobachter, als jemand, der das Spiel liebt.

„Es war nicht immer leicht“, sagt er abschließend. „Aber ich würde alles genauso wieder machen.“

Was kommt jetzt? Ein neuer Anfang mit alter Leidenschaft

Anthony Hamilton hat Snooker gelebt – nicht nur gespielt. Und nun, wo er den Queue endgültig beiseitegelegt hat, beginnt ein neues Kapitel: Coaching.

„Ich hatte ein paar Gespräche mit Spielern. Jetzt gönne ich mir noch eine Woche Pause, dann geht’s los. Ich werde sie anrufen und schauen, wie und wann wir starten.“ Die Begeisterung ist spürbar, aber auch Nervosität. „Ich glaube, ich werde als Trainer nervöser sein als je als Spieler. Der letzte Rest meiner Haare wird wohl bald Geschichte sein!“

Er spricht nicht von Technik oder Taktik – sondern von Verantwortung. „Wenn einer meiner Spieler ein Turnier gewinnt, ist das für mich wie ein eigener Titel. Vielleicht sogar emotionaler. Ich weiß, was es bedeutet, da oben zu stehen.“

Hamilton will nicht der dominante Coach sein – sondern der feine Taktgeber, der fünf Prozent Unterschied macht. „Manchmal braucht es nur einen Schubs in die richtige Richtung. Ein bisschen mehr Klarheit, ein bisschen mehr Selbstvertrauen. Wenn ich das geben kann – dann lohnt sich alles.“

Und so endet diese Geschichte nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Doppelpunkt. Anthony Hamilton – der Mann mit dem weichen Akzent und dem harten Kampfgeist – geht nicht. Er bleibt. Nur eben an einer anderen Position am Tisch.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zu Anthony Hamilton

Wer ist Anthony Hamilton?

Anthony Hamilton ist ein ehemaliger englischer Snookerprofi, der von 1991 bis 2024 auf der Main Tour aktiv war. Wegen seines Herkunftsortes Nottingham trägt er den Spitznamen „The Sheriff of Pottingham“. Er war bekannt für seine feine Technik, Ausdauer und sein sportliches Fairplay.

Was war Hamiltons größter Karriereerfolg?

Sein größter Erfolg war der Gewinn des German Masters 2017 im Berliner Tempodrom – sein erster und einziger Ranglistentitel. Besonders emotional war dieser Sieg, weil seine Eltern live dabei waren, genau wie bei seinem ersten großen Turniersieg 1988.

Wie war das Duell mit Steve Davis 2004?

Beim Crucible-Duell 2004 gegen sein Idol Steve Davis erlebte Hamilton einen seiner persönlichsten Karrierehöhepunkte. Obwohl Davis sich im Spätherbst seiner Karriere befand, zeigte er großen Kampfgeist. Für Hamilton war es „wie gegen einen Gott zu spielen“. Ein unvergesslicher Tag.

Wann und warum hat Anthony Hamilton seine Profikarriere beendet?

Hamilton trat 2024 nach über 30 Jahren auf der Profi-Tour zurück. Ein letzter Versuch, sich über die Q School zu qualifizieren, blieb erfolglos. Angesichts zunehmender körperlicher Einschränkungen und dem Wunsch, einen neuen Weg einzuschlagen, entschloss er sich zum Rücktritt.

Was plant Hamilton nach seiner aktiven Laufbahn?

Er möchte sich künftig als Coach engagieren und bereits jetzt haben mehrere Profispieler Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt. Hamilton will mit seiner Erfahrung gezielt junge Talente fördern und ihnen helfen, die letzten entscheidenden Prozent aus ihrem Spiel herauszuholen.

Wie ist Hamilton als Mensch bekannt?

Hamilton gilt als bescheiden, reflektiert und bodenständig. Er sprach stets offen über Erfolge wie auch Rückschläge und war bei Kollegen beliebt für seine ruhige Art und seinen trockenen Humor. Trotz seiner Erfolge stand für ihn nie das Rampenlicht im Mittelpunkt, sondern das Spiel selbst.

Warum ist das Tempodrom für Hamilton so besonders?

Das Berliner Tempodrom war für ihn stets ein besonderer Ort – wegen der einzigartigen Atmosphäre, der enthusiastischen Fans und der großartigen Stadt. Dass er ausgerechnet dort 2017 seinen ersten Ranglistensieg holte, macht das Turnier zu einem Schlüsselmoment seiner Karriere.

Wie sieht Hamilton die Rolle als Trainer?

Er sieht sich nicht als strengen Taktik-Coach, sondern eher als emotionalen Begleiter und Mentor. Wenn er einem Spieler auch nur ein paar Prozent mehr Stabilität oder Selbstvertrauen geben kann, betrachtet er das als großen Erfolg. Für ihn ist Coaching keine Pflicht, sondern Herzenssache.

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Informationsquelle: wst . tv

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